Darf ich vorstellen? Kimberley und Douglas aus Kanada. Kimberley stellt sich sofort freundschaftlich als „Kim“ vor, Douglas nennt sich einfach „Doug“. Zwei ganz normale Weltreisende? Weit gefehlt. Die beiden sind die beeindruckendsten Menschen, die ich bisher auf meiner Reise kennengelernt habe. Wenn sie von ihren Abenteuern erzählen, sprühen ihre Augen nur so vor Lebensfreude. Schnell vergisst man, dass Kim 62 und Doug 65 Jahre alt ist. Sie teilen das Hostel-Leben (sie haben ein Doppelzimmer, aber dennoch!). Jeden Morgen begrüßen Sie mich mit einem Lächeln im Gesicht und ein paar warmherzigen Worten auf den Lippen. Gestern Abend packte mich die Neugier. Ich wollte mehr über sie erfahren, ihre Geschichte hören. Wir saßen gemütlich in der Küche und kamen ins Plaudern. Was dann folgte, versetzte mich mit jeder Minute immer weiter ins Staunen.
Wie Doug und Kim auf die Idee kamen, als Rentner reisen zu gehen
Doug ist in einem kleinen Ort im Westen Kanadas aufgewachsen. Schon immer zog es ihn in die weite Welt. Es reichte ihm nicht, in einer Holzfabrik zu arbeiten, der einzigen Möglichkeit, sein Geld zu verdienen. Er wollte mehr. Kim wuchs ebenso in einer kleinen Stadt auf. Sie ließ sich von Doug’s Reisefieber anstecken. Mit Anfang dreißig reisten die beiden zum ersten Mal fürs zwei Monate durch Europa. Mit im Schlepptau ein 21 Monate altes Kleinkind und ihren zwölf Jahre alten Sohn. Kim’s Kommentar zur Frage, ob es kompliziert war, mit einem kleinen Kind zu reisen? „Windeln gibt es überall“.
Einmal im Jahr reisten sie von nun an durch Europa. Aufenthalte im Mittleren Osten, unter anderem in Jordanien und Ägypten folgten. Sie hatte das Reisefieber gepackt. Stets entflohen sie dem Alltag für ein paar Wochen. Der große Traum? Eine lange Reise machen.
Die Jahre kamen und gingen. Erst waren es die Kinder, die großzuziehen waren. Dann Kim’s Mutter, die gepflegt werden musste. Kim war unglücklich. Fühlte sich im Alltag gefangen. Spürte, wie sie bequemer wurde. Ein Gefühl, dass ihr ganz und gar nicht behagte. Sie fing an, ihr aktuelles Leben in Frage zu stellen. Plötzlich starben erste Freunde. Ihr wurde bewusst, wie kurz das Leben doch war. „Soll das alles gewesen sein?“ Doug bemerkte, dass seine Frau unglücklich war. Andere ihr Leben dominierten und sie ihre eigenen Bedürfnisse seit Jahren zurückstellte. Ein kleiner Kampf begann. Mit Kim’s Geschwistern, für die die damalige Situation recht komfortabel war. Schließlich kümmerte sich Kim um die Mutter.
Der Auslöser für die Reise
.. war letztendlich ihr 43 Jahre alter Sohn. Er wollte wissen, was aus ihrem Traum geworden war. Warum sie stattdessen daheim saßen und die Jahre verstreichen ließen.
Was dann folgte?
Kim gab die Verantwortung für ihr Mutter ab – und begann, ihr Leben wieder zu genießen. Sie gaben ihr Haus auf. Innerhalb von drei Tagen war es verkauft. Freunde und Verwandten fielen aus allen Wolken. Mit Mitte Sechzig? Oh ja, jetzt erst recht!
Beeindruckend: Ihre Art, zu reisen
Vier Monate Südamerika sind geplant, gefolgt von vier Monaten mit dem Auto durch Kanada und gekrönt durch vier weitere Monate Europa. Und dann? „Wissen wir nicht“, erwidert Kim schmunzelnd. So gestaltet sich ihre ganze Reise: Komplett spontan und ungeplant. „Bisher haben wir immer eine Unterkunft gefunden“ wirft Doug ein, „Nur einmal hätten wir fast unter dem Sternenhimmel geschlafen“. Beide sprechen kein Spanisch. Das hält sie nicht davon ab, den Kontinent kreuz und quer zu bereisen. Am Hostel-Leben nehmen sie mit inniger Freude teil. Kochen mit den anderen, trinken, rauchen. „Wir lieben es, Menschen aus anderen Ländern kennenzulernen. Im Innersten sind wir doch alle ähnlich.“, erklärt Doug weiter. Sie kaufen in den kleinen, etwas schmuddeligen Läden ums Eck ein, ohne jegliche Berührungsangst. Mir bleibt fast der Mund offen stehen. Wenn ich mit Mitte Sechzig so bin, habe ich alles richtig gemacht.
Was sie vermissen
Nicht viel. Sie genießen die Freiheit. Sind froh, sich nochmal aus ihrer Komfortzone gewagt zu haben. Denn das wird mit den Jahren schwieriger, wie Kim offen zugibt. Das einzige, was ihr momentan fehlt? Einfach mal ein Bad in einer Badewanne nehmen zu können. Das wars aber auch schon. Ich kann mir ein herzliches Lachen nicht verkneifen.
Was Kim und Doug auf Reisen gelernt haben
Offen und flexibel zu sein. Die Ruhe zu bewahren. Und auf das Bauchgefühl zu hören. In wirklich gefährliche Situationen sind sie bisher noch nie geraten.
Was ich durch diese Begegnung gelernt habe
Vor allem: Das Reisen keine Altersgrenze kennt. Es immer einen Weg gibt, wenn man etwas wirklich erreichen möchte. Jederzeit. Gleichzeitig habe ich versucht, so viel wie möglich von der grenzenlosen Gelassenheit des Pärchens aufzusaugen. Sie haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, jeden Tag zu genießen, als wäre es dein letzter. Zeit nicht zu vergeuden. Im Moment zu leben. Sich selbst an erste Stelle zu setzen, auch wenn es zunächst unmöglich erscheint. Ich bin dankbar für diese einzigartige Begegnung.
Doug bietet mir zum Abschluss des Abends an, mit ihm noch eine Runde Rum-Cola zu trinken. Natürlich bin ich dabei. Es ist das perfekte Ende eines außergewöhnlichen Abends.
Ich glaube es geht dir gut. Das macht mir freude. Viel spass, safe travel,
Dankeschön, ja, es ist toll! Wie geht’s dir?