Meine letzten Wochen in Cali? Aufreibend, intensiv und erkenntnisreich. In der ersten Zeit dominierte vor allem eines: Müdigkeit. Wenn die Schule doch nur eine Stunde später anfangen könnte…Aus einer Nachteule wird einfach nicht von heute auf gleich ein Morgenmensch. Aber von vorn. Was habe ich so erlebt? Was habe ich über Kolumbien bisher gelernt?
Und plötzlich war es soweit – Heimweh, ich grüße dich
Diesen Teil meiner Erfahrungen möchte ich euch nicht verschweigen. In der ersten Woche traf es mich plötzlich mit einem Schlag. Heimweh. Ich, die Reisende, Heimweh? Die, die immer so stark ist? Ja. Erst konnte ich mir gar nicht erklären, was da passierte. Ich grummelte vor mich hin. Hatte keine Lust, neue Leute kennen zu lernen. Wozu auch, ich hatte doch schon tolle Freunde. Viel zu anstrengend, dieser Smalltalk. Und die Stadt? Laut. Die Leute? Nett, aber die Männer aufdringlich. Das Essen? Frittiert, fast nur Fleisch.. Na toll. Die Vegetarierhölle. Ich sehnte mich nach meinem Rohkostladen ums Eck. Meinen Freunden. Meinem Fahrrad. Bis ich begriff. So, jetzt hat es dich erwischt. Heimweh also. Mein Gegenmittel? Raus, Aktivität! Und Offenheit. Ich sprach mit den Leuten, die ich bisher in Cali kannte. Das half. Und ja, es ging vorbei. Und dann…
Wie ist Cali und Kolumbien denn nun tatsächlich?
Cali ist eine wundervolle, grüne Stadt. Besonders bekannt für ihr Nachtleben. Und da stürzte ich mich jetzt rein. Salsaclubs, Konzerte. Bald wagte ich mich an meine erste Salsastunde. Sofort fiel mir auf, daß ich fast die Einzige war, die nicht in Sportkleidung erschienen war. Ein paar Minuten später wusste ich, warum. Das Aufwärmen gleichte eher einer zehnmal anstrengenderen Zumbastunde. Nur mit Salsa eben. Es wurde getanzt, bis die Füße brannten. Und ich klitschnass geschwitzt war. Das nächste Mal weiß ich es besser.
Mein Grummeln verflog schnell. Ich entdeckte, dass es durchaus möglich war, hier als Vegetarier problemlos zu überleben. Das Gemüse ist billig. Die Früchte sind einfach unschlagbar lecker. Na, und einige vegetarische Restaurants habe ich auch entdeckt. Geht doch! Mein Glück vervollständigt hat dann eine deutsche Bäckerei, die ich fünf Minuten entfernt von mir entdeckte. Zur Not tat es auch mal ein Arepa, ein für Kolumbien typischer Maisfladen (siehe Bild).
Ich streifte immer häufiger durch die Stadt und entdeckte grüne Ruheoasen, viel Street Art, bunte Kultur, Musiker und noch mehr Straßenstände. Die Kreativität der Kolumbianer ist groß, wenn es ums Arbeiten geht. Die ist auch notwendig, denn Arbeit ist für Nicht-Akademiker schwer zu finden. Sowas wie Arbeitslosengeld gibt es zwar. Dennoch. Die Löhne sind niedrig. Deshalb gibt es alles – vom Schuhputzer über den Briefeschreiber (ja, die sitzen mit Schreibmaschine auf der Straße!).
Bald erweiterte sich auch mein Freundeskreis. Die Menschen hier sind sehr offen und hilfsbereit. Amerikaner, Kolumbianer, Engländer.. Alles war dabei. Im gleichen Zuge verbesserte sich mein Spanisch im Raketentempo. Ein Grund war auch die Schule. Aber dazu gleich mehr.
Ansonsten setzte der Alltag ein. Viel Sport. Schule. Kochen. 9.30 spätestens ab ins Bett. Ausschlafen am Wochenende.
Wie läuft es an der Schule?
Chaotisch und entspannt trifft es wohl ganz gut. Deutsche Lehrer würden wahrscheinlich erstmal die Krise kriegen. Handy im Unterricht? Aber klar. Fleißig wird getextet, was das Zeug hält. Aufstehen und rumlaufen, Stühle verrücken, lautstarkes Quatschen, Musik. Man sollte auf alles gefasst sein. Auf der anderen Seite: Ein paar panisch dreinblickende Augen, wenn ich Englisch spreche. „Profe, profe“. Moment, damit bin ich gemeint. “ Yo entiendo nada“. Ein weiterer Standardsatz. Auf Deutsch: Ich habe rein gar nichts verstanden. Kein Einzelfall in der 10. Klasse, eher die Regel. Deshalb lautete meine neue Taktik schnell: Englisch und Spanisch clever kombinieren. Davon haben beide Seiten mehr.
Ja, und die Freude am Unterrichten ist geblieben. Auch wenn 6.30 echt eine gemeine Zeit ist.
Und, willst du jetzt in Kolumbien bleiben?
Ganz klar: Nein. Es hat meinen Blick auf Deutschland sehr verändert. Und zwar zum Positiven. Das, was ich in Deutschland habe, werde ich hier nicht finden. Das fängt bei kleinen Sachen an. Das ich nachts mit dem Taxi heimfahren muss, wenn es längere Strecken sind. Laufen wäre nicht sicher. Das hängt auch damit zusammen, dass Armut hier eine ganz andere Dimension hat. Fahrradfahren ist hier zwar möglich, aber absolut waghalsig. Die Straße gehört den Autos und Fahrradwege gibt es kaum. Wer Geld hat, kann sich Gesundheit hier leisten. Die privaten Kliniken sind gut. Allerdings weiß ich auch, dass es ein öffentliches Gesundheitssystem gibt. Möglicherweise ist die Situation anders, wenn man fest in Kolumbien arbeitet. Dennoch möchte ich unser Gesundheitssystem nicht missen. Wie auch unser Sozialsystem, wie oben erwähnt. Nicht zu vergessen: Schulbildung. Gute Schulen mit kleinen Klassen kosten, und zwar richtig. Was nicht heißt, dass es nicht ebenso ein paar gute öffentliche Schulen gibt. Zur Uni gehen? Kostet – auch wenn es ein paar rar gesäte öffentliche Universitäten gibt. Bildung ist hier ganz klar geldabhängig. Da ist Deutschland mit seinen weitgehend kostenfreien Universitäten und den guten staatlichen Schulen ein echter Traum.
In Sachen persönliche Freiheit ist Deutschland im Vergleich um einiges toleranter. Homosexualität gibt es auch in Kolumbien, wird aber im Vergleich noch weniger akzeptiert. Die klassische monogame Mann-Frau Beziehung ist an der Tagesordnung. Alternative Beziehungsformen sind die große Ausnahme. Ich habe das Gefühl, das der Spielraum für individuelle Entwicklung in Deutschland wesentlich größer ist.
Dazu kommt das Auftreten vieler Männer, was mich hier verunsichert. Ich werde angestarrt oder mir wird hinterhergepfiffen. Denn hier bin ich eine Seltenheit. Heute war ich die einzige blonde Frau im Bus und habe dazu mit meiner Größe fast alle überragt. Ich habe gelernt, dass die entspannte Gleichgültigkeit mancher Deutscher echt seine Vorteile hat. Und der kunterbunte Mix einer deutschen Großstadt sowieso. Und wer sich nochmal über viel Verkehr auf deutschen Straßen beschwert, möge mal für eine Weile in einer größeren südamerikanischen Stadt leben. Ja, Deutschland ist wirklich nicht übel.
Was ich vermissen werde?
Klar gibt es andererseits auch viele Dinge, die hier einfach klasse sind. An erster Stelle: Eindeutig das Wetter. Ganzjährig tagsüber um die 28 Grad, nachts um die 20 Grad. Ein Traum. Hier ist es eher unüblich, dass ein Mann nicht tanzen kann. Ein klarer Nachteil im kolumbianischen Paarungswettbewerb 😉 Die Salsaklassen haben oft einen Männerüberschuss. In Deutschland undenkbar. Verlässt man die Stadt, trifft man auf Natur, die einfach sagenhaft ist. Wild, unberührt, exotisch. Und lässt man die Machos beiseite, sind die Kolumbianer das wohl wahrscheinlich liebenswerteste Völkchen auf Erden. Wenn ich durch die Stadt laufe, komme ich aus dem Grüßen nicht mehr heraus. Jeder möchte wissen, wie es mir geht. Du wirst sofort angesprochen, wenn du verloren wirkst. Ach, und die Früchte und Smoothies. Einfach klasse. Wild gemischt mit Weizen (wie der nicht so lecker aussehende leckere Drink auf dem Bild, genannt champús) oder Milch.. Ja, Kolumbien ist toll. Dennoch… 😉